Hans Jörg Fehle
erzählt, weshalb der Tod aus der Gesellschaft verdrängt wird.
Die Kaltbrunnerin Alexandra Marty ist ausgebildete Wanderleiterin.
Mit dem Erwerb des Eidgenössischen Fachausweises als professionelle Wanderleiterin erfüllte sich die Kaltbrunnerin Alexandra Marty 2022 ihren Herzenswunsch. Bald darauf gründete sie ein eigenes Wanderunternehmen, das sich in kurzer Zeit prächtig entwickelte.
Kaltbrunn Wer die Website Lieblingsberge.ch der Wanderleiterin Alexandra Marty besucht, hat die Qual der Wahl. Wie köstliche Pralinen in einer prall gefüllten Schachtel locken dort attraktive Touren in acht unterschiedlichen Kategorien und wecken die Sehnsucht nach Erlebnissen in der Natur. Die Sehnsucht nach der Natur und insbesondere nach den Bergen, die Martyselber sehr gut kennt, brachte sie 2021 dazu, ihr Hobby zum Beruf zu machen. Damals entschied die Expertin für Anästhesiepflegedie zweijährige Berufsausbildung beim Schweizerischen Bergführerverband zu absolvieren und professionelle Wanderleiterin zu werden. Sie hängte gleich noch die Zusatzausbildung für Touren auf anspruchsvollen Alpinwanderwegen und ihre Firmengründung an. Fragt man Marty, wo sie sich zu Hause fühle, erhält man eine überraschende Antwort. Natürlich ist sie mit der Region See & Gaster am Rande der Linthebene und am Fusse der Voralpen eng verbunden. In Gommiswald, dort leben die Eltern immer noch, verbrachte sie ihre Schulzeit. Heute wohnt die 45-jährige nur wenige Kilometer entfernt in Kaltbrunn. «Heimatliche Gefühle habe ich aber auch im Wallis, im Engadin und im Berner Oberland. Zur Bergbevölkerung finde ich rasch und problemlos Kontakt, weil ich gerne auf Menschen zugehe und ehrlich ihren Lebensraum lobe. Da muss ich nicht einmal schleimen», lacht die fröhliche Wanderleiterin.
Jeder will von ihr wohl wissen, welches denn Martys persönlicher Lieblingsberg sei. Wer jetzt das Matterhorn, die Jungfrau oder den Piz Palü erwartet, täuscht sich. Ohne Zögern nennt die St.Gallerin den Speer, der verglichen mit den Wahrzeichen der Schweizer Alpen doch eher bescheiden wirkt. Irgendwie passt dieser zur geerdeten Wanderleiterin. «Ich bin kein Mensch, der dauernd im Vordergrund stehen und in der Beiz den ganzen Tisch unterhalten muss», beschreibt sie sich selbst. Zu ihrem Hausberg hat Marty eine lange und intensive Beziehung. «Schon als Primarschülerin habe ich den Speer mehrfach bestiegen, denn unsere Eltern machten mit uns drei Kindern regelmässig lange und teilweise anstrengende Wanderungen.» Obwohl sie die Jüngste der Familie gewesen sei, konnte sie mithalten. «In der Pubertät wollte ich allerdings ein paar Jahre lang nichts mehr vom Wandern wissen», so Marty. Vielleicht brauchte die Oberstufenschülerin damals einfach eine Verschnaufpause. Offensichtlich war es ihren Eltern aber gelungen, bei ihr einen Samen zu setzen, der sich später ganz prächtig entwickelte. «Im Teenie-Alter kraxelte ich mit meiner besten Freundin und ohne Eltern wieder einmal auf den Speer. Das war so aufregend, dass ich fast meine Freundin vergass und ihr andere Wandernde beistehen mussten», gesteht Marty. Nach diesem Schlüsselerlebnis war sie nicht mehr zu halten. Sie wollte mehr davon.
Das ist eine typische Anekdote aus dem Leben der vielseitigen Frau. Was sie nicht mag, sind Routine und Monotonie. Marty will mit ihren Touren grossartige Geniesser, unerschrockene Abenteurer, sinnliche Pilgernde, lernbegeisterte Talente, sportliche Aktivisten, aufmerksame Naturliebhaber und -romantiker mit Teamgeist ansprechen. Wer all diese Aktivitäten unter einen Hut bringen will, muss ein Multitalent sein. Ein bisschen kommt einem Alexandra Marty wie ein Schweizer Sackmesser vor: vielseitig, solide und verlässlich. Auf die Frage, welcher der verschiedenen Bereiche ihre Stärke sei, überlegt sie eine Weile und antwortet dann: «Ich glaube, meine Stärken sind die Vielseitigkeit und meine Fähigkeit und Freude im Umgang mit unterschiedlichen Menschen». Obwohl Alexandra Marty ihre Touren akribisch vorbereitet, gibt es Faktoren, die auch sie nicht beeinflussen kann. «Im vergangenen Jahr bot ich eine romantische Vollmond-Schneeschuhtour zum Tanzboden an.» Eine genügend grosse Anzahl Gäste schrieb sich für diese Tour ein. Doch leider versteckte sich der Mond in der besagten Nacht hinter einer dicken Wolkendecke und es kam noch schlimmer. «Das Gelände war absolut schneefrei», erzählt Alexandra Marty, «Ich entschied mich, die Tour trotzdem durchzuführen, halt mit Stirnlampen und mit Wanderschuhen.» Vor der Tour rief eine besorgte Teilnehmerin an, weil sie befürchtete, ihre Wanderschuhe könnten schmutzig werden. «Wir erlebten in der urchigen Tanzbodenhütte einen sehr beschwingten Abend mit Livemusik und obwohl meine Kundin zu Hause ihre Schuhe selber putzen musste, kam sie später wieder einmal mit mir auf eine Tour».
Im vergangenen Jahr war Marty insgesamt fünfzig Tage und oft an Wochenenden unterwegs. Parallel dazu arbeitete sie für ein Temporär-Büro. «Dass ich diese flexible Lösung gefunden habe und selber bestimmen kann, wann ich als Expertin für Anästhesiepflege und wann als Wanderleiterin arbeite, ist für mich ein Glücksfall.» Sie müsse sich gut organisieren, um die richtige Balance zwischen Arbeit und Freizeit zu finden, so Marty. Dass sie ihre Vision Lieblingsberge verwirklichen konnte, war nur möglich, weil sie kinderfrei sei, gibt sie zu bedenken. «Ich hätte mir durchaus vorstellen können, eine Familie zu gründen, aber das Leben nahm bei mir eine andere Wendung», erzählt die sportliche Frau. Bis ihre Herzensangelegenheit Lieblingsberge geboren war, brauchte es allerdings viel Geduld. Warum sich Alexandra Martys Wanderunternehmen so rasch und erfolgreich entwickelte, hat wohl mehrere Gründe. Zum einen sind es sicherlich die verführerischen Tourenpralinen, mit denen sie bei ihren potenziellen Begleiterinnen und Begleitern die Sehnsucht nach Naturerlebnissen weckt. Zum anderen spielen ihre fachlichen Kompetenzen mit, dank denen sie ihre Gäste genauso sicher durch schwieriges Gelände führt, wie sie als Expertin für Anästhesiepflege ihre Patienten im Spital durch die Narkosephase begleitet. Wahrscheinlich beruht ihr Erfolgsgeheimnis aber auch einfach darauf, dass es ihr gelingt, mit ihrer eigenen Faszination für die Berge andere zu begeistern und sie ein sympathischer Mensch ist, mit dem man gerne Zeit verbringt. Martin Gross
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